Im Gespräch mit Dr. med. Hans Thorsten Körner, wiss. Leiter ANPI 2025
ANPI 2025 – es wird besonders
Dr. med. Hans Thorsten Körner, wissenschaftlicher Leiter der ANPI-Jahrestagung 2025, im Gespräch über die Entwicklungen in der Neonatologie und pädiatrischen Intensivmedizin.
ANPI in Bremen – das hat Tradition. Zum sechsten Mal tagt der Arbeitskreis für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin in der Hansestadt; zum zweiten Mal übernimmt Dr. med. Hans Thorsten Körner (Neonatologe und leitender Arzt der Klinik für Neonatologie am Klinikum Bremen Mitte ) die wissenschaftliche Leitung. Dieses Mal teilt er sich die Organisation mit Dr. med. David Overberg (Leitender Arzt der Klinik für Pädiatrische Intensivmedizin am Klinikum Bremen-Mitte). Zum einen, damit die pädiatrische Intensivmedizin gleichwertige Berücksichtigung findet, zum anderen, weil die Aufgabe höchst anspruchsvoll ist. Eine Vielzahl von Vorträgen und Workshops müssen abgestimmt werden, Referenten eingebunden und Timelines koordiniert werden.
Was die beiden Ärzte bewegt, sich intensiv für die ANPI zu engagieren, und was das Besondere 2025 in Bremen sein wird, schildert Dr. Körner im Interview.
Herr Dr. Körner, 1908 wurde in Zürich mit der Villa Rosenberg das vermutlich erste Frühgeborenen-Haus eröffnet. Die Neugeborenen wurden streng isoliert, Eltern hatten keinen Zugang, jedes 20. Baby überlebte die ersten 28 Tage nicht. Seitdem hat es ein gravierendes Umdenken gegeben. Sie sprechen auch bei Frühgeburten für das Zero Separation-Konzept. Warum?
Dr. Körner: “Der Umgang mit Neugeborenen hat tatsächlich eine komplette Umwälzung erfahren. Auch noch in den letzten Jahrzehnten wurden Neugeborene sofort nach der Geburt den Eltern zunächst förmlich entrissen in der Annahme, dass die sofortige medizinische Betreuung wichtiger sei als alles andere. Heute wissen wir, dass eine unmittelbare Trennung nur in großen Ausnahmefällen notwendig ist und in aller Regel weder dem Kind noch den Eltern guttut. Untersuchungen zeigen, dass Kinder mit unmittelbarem Elternkontakt neurokognitive, psychosoziale und psychomotorische Fähigkeiten besser ausbilden und immunologische Effekte gefördert werden. Auch für Eltern und speziell Mütter ist der Sofortkontakt wichtig. Die Laktation wird besser initiiert, die Eltern-Kind-Beziehungen etablieren sich bereits in den ersten Minuten und sind stabiler. Daher ist Zero-Separation-Konzept bei uns der vorrangige Weg.”
"Wir versuchen die Transition, also den Übergang von der intrauterinen zur extrauterinen Versorgung für Neugeborene im höchsten Maß kindgerecht zu machen, weil wir wissen, dass die geburtliche Situation lebenslange Spuren hinterlässt."

Wie schaffen Sie Zero Separation auch bei sehr frühgeborenen Kindern, ohne diese einem zusätzlichen Risiko auszusetzen?
Dr. Körner: "Bis vor einiger Zeit dachten wir, dass Frühgeborene oder Kaiserschnitt-Kinder so schnell wie möglich abgenabelt werden und in die medizinische Erstversorgung überstellt werden sollten, um sie unter anderem mit Atemhilfe zu versorgen. Inzwischen wissen wir aus Studien und unseren eigenen Erfahrungen, dass Frühgeborene bei Spätabnabelung ein besseres Outcome haben. Das findet sich inzwischen auch in den Leitlinien wieder. Wir in Bremen gehen noch einen Schritt weiter: Wir verfolgen das Konzept des physiologisch basierten Abnabelns. Das bedeutet, dass wir die Frühgeborenen erst dann abnabeln, wenn wir ihre Lunge belüftet oder sie ggf. mit Stimulation selbst geatmet haben. Solange die Kinder über die intakte Nabelschnur versorgt werden, haben wir dafür bis maximal 10 Minuten Zeit. Das Kind kann in Ruhe ankommen.
Um Frühgeborene trotzdem unmittelbar intensivmedizinisch versorgen zu können, kommt bei uns das Concord-Birth-Flow-System zum Einsatz – Concord steht für „mit Schnur“. Das ist ein spezielles Überwachungssystem mit einer über dem Bauch der Mutter schwebenden Neugeborenenschale, in der das Kind gelagert wird. Wir Mediziner bekommen das Kind an der Nabelschnur vorgelegt und können die Erstuntersuchung machen, während die Eltern ihr Kind sehen und streicheln können. Durch dieses Vorgehen wird der Kreislauf des Kindes nicht unterbrochen; es wird über die Plazenta versorgt, bis die Lunge richtig arbeitet. Wir haben auf diesem Weg in den letzten Jahren rund 180 Frühgeborenen ins Leben verholfen und bekommen häufig Besuch aus anderen Kliniken, die aus unseren Erfahrungen mit diesem noch selten eingesetzten System lernen möchten. Für mich ist dieses Vorgehen ein echter Fortschritt zum Immediate-Cord-Clamping oder auch dem Time-Based-Cord-Clamping. Ich werde bei der ANPI 2025 hierzu vortragen."
Damit zur ANPI 2025, der mittlerweile 41. Jahrestagung des Arbeitskreises für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin. Was zeichnet die ANPI aus, bzw. warum wird die ANPI weiterhin gebraucht?
Dr. Körner: “Lassen Sie uns zunächst einen Blick auf die Zahlen werfen. Wie auch die Daten des German Neonatal Network zeigen, haben sich Morbidität und Mortalität trotz immer kleinerer Frühgeborenen in den letzten Jahren stetig verbessert. Vor 15 Jahren hatten wir Mortalitätsraten von um die 12 Prozent bei Kindern mit einem Geburtsgewicht unter 1.500 g, jetzt sind wir bei gut 6 Prozent. Das hat nicht nur mit medizinischem Fortschritt zu tun, sondern mehr noch mit dem Wissenstransfer zwischen allen beteiligten Fachdisziplinen. Und diesen fördert nichts so sehr wie die ANPI. Es gibt auch Veranstaltungen auf Bundesebene, die GNPI organisiert einen eigenen Fachkongress. Dort treffen sich Ärztinnen und Ärzte. Bei der ANPI kommen alle beteiligten Fachdisziplinen zusammen und tauschen ihre Erkenntnisse, Erfahrungen und wissenschaftliche News aus. Das ist so wichtig. Alles, was es an Entwicklungen gibt, kommt hier zur Sprache. Bei allem, was wir Ärzte tun, benötigen wir ein Mitwirken der Pflege, denn die ist am dichtesten dran und kennt sich mit der Intensivpflege von Frühgeborenen aus. Wir müssen und wollen eng zusammenarbeiten, um das Outcome von Frühchen weiter zu verbessern. Sie ist hierbei eine unersetzbare Instanz.”
“Nur durch ein gemeinsames Verständnis und eine enge Zusammenarbeit in Teams erreichen wir, das Outcome von Kindern in kritischen Situationen zu verbessern. Keine Veranstaltung oder Fortbildung trägt dazu in einem solchen Umfang bei wie die ANPI.”
"Die ANPI prägt den Team-Gedanken nachhaltig. Ihre große Errungenschaft ist, dass wir alle auf Augenhöhe diskutieren, uns mit großem Respekt begegnen und uns gegenseitig an Wissen und eigenen Erfahrungen teilnehmen lassen können. Wir möchten die Interdisziplinarität der ANPI in 2025 weiter ausbauen. Zum Beispiel durch die stärkere Integration der Perinatalmedizin und der Kinderchirurgie. Als großes Perinatalzentrum haben wir in Bremen auch die Möglichkeit, Kinder mit Fehlbildungen zu behandeln, und das ist natürlich ein wichtiges Thema, worüber es einiges zu berichten gibt. Somit gehört auch das zu den Programminhalten der ANPI. Auch ein weiterer perinatologischer Bereich ist für uns wichtig: die Palliativmedizin. Wenn wir nicht mehr die Hoffnung haben, dass wir einem Kind beim Leben helfen können, setzen wir alles daran, dass das Kind nicht noch Schmerzen und Angst ertragen muss, wenn es aus dem Leben geht. Wir haben bei uns in Bremen ein spezialisiertes PaCT-Team, also eine Kinder-Palliativ-Care-Team, an dem wir als Neonatologen und Intensivmediziner beteiligt sind und von dem wir alle viel lernen können. Es ist ein äußerst sensibles Thema. Wie mit Eltern kommunizieren, wenn schon vor der Geburt klar ist, dass deren Kind nicht lebensfähig ist? Wie mit Kindern umgehen, die unweigerlich auf dem Weg sind, unsere Welt wieder zu verlassen? Nirgendwo ist der Grat zwischen Professionalität und Emotionalität so schmal. Die ANPI ist der ideale Rahmen, um alle Fachdisziplinen hierüber zu informieren und fachlich weiterzubilden.
Ich möchte es noch einmal kurz zusammenfassen: Bei keiner anderen Veranstaltung kann man so vieles aus einem interdisziplinären und interprofessionellem Austausch lernen und daraus eigene Projekte ableiten. Bei uns sind daraus beispielsweise das Concord-Projekt und ein Early-Bonding-Projekt entstanden, was ohne die Zusammenarbeit von Fachärztinnen, -ärzten und Pflegenden nicht möglich gewesen wäre. Es ist toll, sich im größeren Zusammenhang fortbilden zu können – und das gibt es nur bei der ANPI."
"Wir organisieren die ANPI sehr gern, weil wir möchten, dass alle in der Neonatologie und Pädiatrischen Intensivmedizin Tätigen auf einem gleich hohen Wissenslevel arbeiten können. Es gibt meines Wissens nach keine andere Fachdisziplin, in der das vergleichsweise erfolgreich gelingt."
Die jährliche ANPI ist auch immer eine Fortsetzung der vorherigen. Gibt es Themen, die Sie in Ihrem Programm wieder aufgreifen bzw. fortsetzen?
Dr. Körner: “Es geht immer um Themen, die es wert sind, stärker publik gemacht zu werden und Bereiche, in denen es neue Erkenntnisse gibt. Natürlich dürfen sich Themen wiederholen, zumal auch immer neue Teilnehmende dabei sind. Den höchsten Stellenwert haben der interdisziplinäre Austausch und die Auseinandersetzung mit den Topics. Wir wollen nicht zu viele wiederholen. Es wird allerdings zu manchen bekannten Themen Updates geben wie etwas zur gesundheitspolitischen Situation. Die ANPI bekommt bei uns wieder ein paar neue Schwerpunkte. Jede Klinik hat ihren Fokus, und es ist extrem interessant für andere zu sehen, was an anderen Kliniken geschieht. Die Matrix unseres Programms steht, wir haben intern wie extern sensationelle Expertinnen und Experten gewinnen können. Auch das zeigt, wie relevant die ANPI ist. Alle Teilnehmenden dürfen sich auf ein spannendes erstklassiges Programm freuen.”
Wenn Sie einen Wunsch an die Gesundheitspolitik freihätten: Welche Unterstützung würden Sie sich wünschen?
Dr. Körner: “Ich wünschte mir eine gesicherte Finanzierung. Es ist eine schräge Situation, wenn diejenigen mehr Geld bekommen, bei denen mehr Komplikationen auftreten. Es sollte einen anderen Verteilungsschlüssel geben. Außerdem wünsche ich mir Unterstützung dabei, den Beruf der Kinderkrankenpflege wieder attraktiver zu machen. Es war ein wichtiger und guter Schritt, dass die Pflege sowohl in der Neonatologie als auch in der pädiatrischen Intensivmedizin heute komplett refinanziert ist. Damit müssen wir nicht mehr schauen, ob wir uns Pflegekräfte überhaupt leisten können. Vielmehr leiden wir darunter, dass es viel zu wenige speziell ausgebildete Kinderpflegekräfte gibt. Aus meiner Sicht muss es der generalistischen Pflegeausbildung zumindest mehr Möglichkeiten für eine Spezialisierung in der Kinderheilkunde geben, wenn es denn bei diesem Ausbildungskonzept bleiben soll. Auch die Vergütung Pflegender sollte angepasst werden, um den Beruf attraktiver zu machen.”
Sie sagen, dass die ANPI eine wertvolle und einzigartige Institution ist. Die kostspielige Durchführung ist nur möglich, weil es seit 41 Jahren mit Humana einen Finanzierer im Hintergrund gibt. Wie beurteilen Sie das Engagement des Unternehmens?
Dr. Körner: "Nur positiv. Ohne dieses Engagement von Humana wären einige Fortschritte oder Fortschrittsprojekte in der Neonatologie und der Pädiatrischen Intensivmedizin nicht möglich gewesen. Natürlich spielt die Ernährung der Kinder in unserem Arbeitsbereich eine riesengroße Rolle, und insofern wird sie auch immer ein Thema sein. Wir sind dankbar, dass Humana seine Frühchen- und Säuglingsnahrungen auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse entwickelt und uns für den Fall, dass keine Muttermilch oder Spenderinnenmilch zur Verfügung steht, einen hervorragenden Ersatz anbietet. Das aber hat nichts mit dem umfänglichen Engagement von Humana für die ANPI zu tun. Ich denke, ohne Humana würde es die ANPI nicht geben; und was wäre das für ein eklatanter Verlust.
Humana hat frühzeitig erkannt, dass ein Miteinander der gesamten Community derer, die sich um die Frühgeborenen kümmern, der wichtigste Schlüssel für einen gesunden Lebensstart ist. Humana mischt sich nie in das wissenschaftliche Programm ein, sondern gibt uns die Möglichkeit, frei zu entscheiden. Als engagierter Neonatologe sage ich: Großen Dank an Humana."